Magnus

Haute Couture für Untenrum

Als Kind nähte er Puppenkleider, mit vierzehn die erste Unterhose – heute ist Lothar Schuster der König der Männerdessous. Nichts von der Stange, sondern maßgeschneidert und Exklusiv.
Michael Meissner hat ihn in seinem Atelier in München besucht.
Das Problem ist, dass die meisten Männerwäschehersteller mit Schnittdirektricen arbeiten. Diese Frauen haben nicht immer ein männliches Model, und wenn, dann stecken sie ihm nicht unter den Eiern ab, wo´s drauf ankommt. Sie schauen hin, das sitzt dann so ungefähr, und das passt dann schon. Näher geht ja keine ran.“
Lothar Schuster macht es sich mit seinem Hund und Firmenmaskottchen Rocky auf der Treppe in seinem Männerdessous-Shop bequem. „Da tu´ich mir leicht. Wenn ich beim Entwickeln eines neuen Modells unsicher bin, schlüpf´ich halt schnell mal rein. „Rocky, Tibetanischer Tempelhund Rasse-Shit-Tzu, wippt mit seiner Haarspange.
Maßgenommen wird also da, wo´s drauf ankommt. Diskretion ist absolut gewährleistet: „Na klar haben wir prominente Kunden, beispielsweise einen Staatssekretär, der zweimal im Monat hier mit Bodyguards kurz vorfährt und seine Unterhosen kauft. Aber keine Namen! Das ginge zu sehr an die Wäsche.“
Ich sehe die unzähligen Acrylbügel mit der sexy Underwear und den sündhaft hohen Preisen (Slips ab 79, Bodys bis 300 DM): Feinstgeriffelte Naturseidenboxershorts im Teerosendesign für den zärtlichen Mann mit Waschbrettbauch; halbtransparente Microsoft-Leggings für den Sportbiker mit dem trainierten Ballettpopo; Badesamt-Tangas im Puccistyle; Reizbodys aus schwarzer Spitze für den dunkelhaarigen Italopapagallo mit der ungekämmten Brust.
Ich lächle: „Und für den Mann mit gemütlicher Bauchpartie und – Speckröllchen?“
„Ich arbeite nicht gegen die Linien des Körpers. Ich möchte nicht wie Nikos den Männern den Griechen aufdrängen. Da werden Slips mit breitem, hohem Bund gekauft, und zu Hause sind 80% unglücklich, weil sie nicht die Figur dafür haben. Ich möchte als Designer nicht so penetrant sein.“ Lothar Schuster fasst zusammen: „Alle sagen, die Couture ist tot. Das finde ich nicht. Heutzutage ist Individualität mehr und mehr gefragt. Die Leute wollen mitentscheiden.“
Michael Rohrmann, Verkaufsleiter von TENDENZE und seit zwölf Jahren Lebensgefährte, kommt vom Italiener um die Ecke, verteilt Taglliatelle mit Austernpilzen und Beruhigt: „Mischfiguren sind die Realiät bei uns. Ich bin ja auch nicht gerade der Dünnste, und da ich das Geschäft leite, ist das für die Kunden sehr gut. Die sind dann relaxed. Auch weil wir selber nicht hochgestylt hier drinstehen.“ Rundlicheren wird also ein lockergeschnittener Sweat-shirt-Body empfohlen, der die Problemzonen kaschiert. Überhaupt wird auf jeglichen persönlichen Wunsch eingegangen. Schuster: „Wir legen uns nicht fest. Alles was zu Nähen ist, mache ich. Ich sage immer zu den Kunden: „Nur schweißen tue ich nicht!“ Bei Latexteilen ist beispielsweise bei mir ein Gewebe unten drin.“
Lothar Schusters Überfliegerkarriere zum Unterhosenpapst: Seine Großmutter, gelernte Trachtenschneiderin, arbeitete nur mit der Hand und weckte in dem gebürtigen Österreicher die Passion für Stoffe und Farben. Er näht zunächst Puppenkleider, mit 14 Jahren dann seine erste Unterhose. In München besucht er verschiedene Schnittkurse. Er fertigt Schowroben, u.a. für Thomas Gottschalk, Penny McLean. Anfang der 80er Jahre dann errichtet er sein erstes Atelier in Schwabing. Von 985 bis 1991 entwirft er die Kollektionen des Männer-Wäschehandels TOP-Versand. Seit vier Saisonen entwirft er Kollektionen für HOM. 1991 war es dann soweit: er eröffnete in München das erste Dessousgeschäft für Männer in Deutschland.
Lothar Schusters Reizwäsche-Shop boomt enorm. Deutschlands Wäschehersteller reißen sich um seine Lizenzen. Bislang gab es seine Kreationen außer im eigenen Laden in München nur in zwei exklusiven Geschäften in Zürich und Stuttgart zu bekommen. Ende Mai hat Schuster nun eine Dependance in Berlin am KaDeWe eröffnet, die wie das Münchner Haupthaus ebenfalls von einem schwulen Paar mit Liebe zum Extravaganten geleitet wird.
Perfektes Handwerk, Supermaterialien (Stoffnovitäten aus Mailand und Paris, Phantasie und die offen-unkomplizierte Atmosphäre sind das Erfolgsrezept. Allem voran aber steht die große Sensibilität der beiden TENDENZE-Männer, mit der sie die heimlichen Wünsche der Kunden (mehr als die Hälfte sind schwul) erspüren. Man muß nicht in schmierig-verscwitzten Hinterzimmern herumstöbern, um seinen kleinen heißen Fetischismus auszuleben. – oder den des Partners: Ein schwarzer 600er Mercedes fährt vor, ein athletischer Typ Anfang 30 kommt herein: Rolex, Boss-Anzug, kupferfarbenes Haar. Er bleibt 15 Sekunden und gibt einen kupferfarbenen Body in Auftrag. Die Schnittmaße liegen vor. Ich denke: „Typisch München!“ Und trotzdem: Sein Freund weiß, wie er ihn will.